Sachverhalt:

 

In der Stadtratssitzung vom 14.12.2022 hat der Stadtrat Gerolstein auf einen gemeinsamen Antrag der UWG- und der CDU-Stadtratsfraktion (Schreiben vom 01.12.2022) hin unter dem Tagesordnungspunkt „Digitalisierung der Ratsarbeit“ den Beschluss gefasst, dass das Gesetzgebungsverfahren unter Berücksichtigung der Ausführungen der Verwaltung zunächst abgewartet werden und das Thema sodann nochmals aufgegriffen werden soll. Der vorgenannte Antrag sowie der dazugehörige Beschlussauszug sind als Anlage beigefügt.

 

Der Landtag hat am 01.03.2023 das Achte Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften verabschiedet, welches am 21.03.2023 in Kraft getreten ist. Daraus ergeben sich u.a. folgende Möglichkeiten zur „Digitalisierung der Ratsarbeit“ bzw. folgende Änderungen / Neuerungen der Gemeindeordnung (GemO):

 

§ 35 GemO – Öffentlichkeit, Anhörung

 

Zuschaltung von Anzuhörenden mittels Ton- und Bildübertragung

Nach § 35 Abs. 2 GemO besteht die Möglichkeit Anzuhörende mittels Ton- und Bildübertragung zuzuschalten. Eine Anhörung hat zu erfolgen, wenn ein Viertel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Gemeinderates dies beantragen. Diese Regelung gilt kraft Gesetzes und soll Kosten, Zeit für die An- und Abreise der Betroffenen sparen.

 

Dauerhafte Entfristung

Im Rahmen der Corona-Pandemie wurde die Regelung des § 35 Abs. 3 GemO befristet aufgenommen. Sie ermöglicht Beschlüsse im Falle von Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen im schriftlichen oder elektronischen Umlaufverfahren oder mittels Video- oder Telefonkonferenz zu fassen. Nunmehr ist diese Regelung dauerhaft für Sondersituationen in die Gemeindeordnung aufgenommen worden.

 

§ 35 a GemO - Digitale Sitzungsteilnahme – Möglichkeit von Hybridsitzungen:

 

Eckpunkte / Ziele:

Ø  Regelung ist für jede Gemeinde oder Stadt in der jeweiligen Geschäftsordnung zu treffen.

Ø  Eine Pflicht zur Einführung von Hybridsitzungen besteht nicht.

Ø  Berücksichtigung in der Muster-Geschäftsordnung wird es nicht geben.

Ø  Ziel: Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und kommunalem Ehrenamt.

 

Allgemeine Regelungen des § 35 a GemO:

  • Teilnahme der Ratsmitglieder und Beigeordneten durch Zuschaltung mittels Ton- und Bildübertragung.
  • Die Regelung der Zuschaltung gilt nicht für den Vorsitzenden.
  • Zuschauerinnen und Zuschauer können nicht zugeschaltet werden.
  • Keine Hybridsitzungen bei konstituierenden Sitzungen sowie den Tagesordnungspunkten Satzungsbeschlüsse, geheime Abstimmungen und geheime Wahlen.
  • Grundsätzlich besteht die Möglichkeit der Hybridsitzung auch für Ausschüsse und Ortsbeiratssitzungen.
  • Eine rein telefonische Zuschaltung ist ausgeschlossen.

 

Gestaltungsfreiheit der Rahmenbedingungen:

  • Mindestrahmenbedingungen sind im § 35a GemO geregelt.
  • Die Zuschaltung kann voraussetzungslos eingeräumt werden.
  • weitere Gestaltungsmöglichkeiten sind möglich:

§  familiärer oder beruflicher Gründe

§  Zuschaltung nur für öffentliche Sitzungen

§  Dienstreisen

§  Urlaub

§  zahlenmäßige Begrenzung der zuschaltbaren Ratsmitglieder

§  Beschränkung auf einzelne Ausschüsse

§  usw.

 

Technische Anforderungen:

  • Gegenseitige optisch und akustische Wahrnehmbarkeit der vor Ort anwesenden, der zugeschalteten Ratsmitglieder und des Vorsitzenden muss gewährleistet sein.
  • Wahrnehmbarkeit für die Öffentlichkeit ist im Sinne der Sitzungsöffentlichkeit.
  • Die Ausstattung für den Sitzungsraum ist von der Gemeinde zu beschaffen und bereitzustellen.
  • Die Gemeinde hat in ihrem Verantwortungsbereich dafür Sorge zu tragen, dass die technischen Anforderungen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung einschließlich Beratung und Beschlussfassung eingehalten werden.
  • Die Beschaffung der geeigneten Endgeräte, die hinreichende Leistungsfähigkeit sowie die stabile Internetverbdingung liegt in der Verantwortung der Rats- Ausschussmitglieder bzw. der Beigeordneten.

 

Risikoverteilung im Falle von technischen Störungen

  • Fällt die Störung nachweislich in den Verantwortungsbereich der Kommune, so ist die Sitzung zu unterbrechen, abzubrechen bzw. die Sitzung darf nicht begonnen werden.
  • Sonstige Störungen der Zuschaltung sind unbeachtlich und haben keine Auswirkung auf die Wirksamkeit eines ohne das betroffene Ratsmitglied gefassten Beschlusses.
  • Allgemeine Netzstörungen liegen nicht im Verantwortungsbereich der Kommune.
  • Die weitere Abgrenzung zum Verantwortungsbereich der Kommune bzw. des Ratsmitgliedes und somit die Wirksamkeit der Ratsbeschlüsse gilt abzuwarten.

 

Die Zulassung der „Hybridsitzungen“ sowie die „Festlegung von Gründen“ muss in der Geschäftsordnung geregelt werden. Die Änderung der Geschäftsordnung bedarf nach § 37 Abs. 1 GemO die Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder.

 

Verwaltungsempfehlung:

 

Wir empfehlen, das Thema in den Gremien erst nach der Kommunalwahl 2024 mit den neuen Räten zu erörtern und ggfls. im Rahmen der Neufassung der Geschäftsordnung mit aufzunehmen, wenn dies gewünscht wird.

 

Neben den Änderungen / Neuerungen der Gemeindeordnung (GemO) zur Digitalisierung wurden die kommunalrechtlichen Vorschriften zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie der Jugendvertretung wie folgt angepasst:

 

§ 16 c - Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

 

Obligatorische Beteiligung von Jugendlichen

Änderung der Soll-Vorschrift zu einer obligatorischen Beteilung („muss“) von Jugendlichen. Der „§ 16 c GemO -Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“ hat nunmehr folgenden Wortlaut: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die deren Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen… „

 

Der unbestimmte Rechtsbegriff „Berühren“ ist weit auszulegen. Das heißt, dass die Interessen der Kinder und Jugendlichen neben kinder- und jugendspezifischen Angelegenheiten, wie die Gestaltung eines Spielplatzes oder einer Freizeitanlage, auch  bei Themen zum Lebensumfeld tangiert werden. Dies könnten beispielsweise sein: Nahverkehr, Straßen, Radwege, Bebauungspläne, kulturelle oder sportliche Veranstaltungen.

 

Möglichkeiten der Jugendbeteiligung:

  • Jugendvertretung im Sinne des § 56 b GemO
  • Online-Befragungen
  • Vor-Ort-Termine
  • Anhörung von Jugendlichen im Gemeinderat
  • Zukunftswerkstätten oder Projekte mit Jugendlichen

 

Folgen unterlassener Beteiligung:

  • In der Regel keine Auswirkung auf die formelle und/oder materielle Rechtsmäßigkeit
  • Bei einer offenkundigen Interessensberührung hat dies Auswirkung

 

Verwaltungsempfehlung:

 

Jugendliche sollten z. B. vor dem Bau eines Kinderspielplatzes, eines Bolzplatzes oder einer Skaterbahn aktiv eingebunden werden. Die Jugendlichen sollten zumindest vor Ort eingeladen und die beabsichtigte Maßnahme mit Ihnen erörtert werden.

 

 

§ 56b – Jugendvertretung:

 

Antragsrecht zur Einrichtung einer Jugendvertretung

Neu ist das Antragsrecht mit Befassungspflicht zur Einrichtung einer Jugendvertretung. Das Antragsrechts bedeutet keine verbindliche Einführungspflicht.

 

Antragsverfahren und Quorum:

  • mindestens 10. V.H. der in der Gemeinde wohnenden Jugendlichen, mindestens jedoch von zehn Jugendlichen
  • Höchstquorum von 100 Unterschriften
  • Mindestquorum – junge Menschen, die 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt sind

 

Hinweis der Verwaltung:

 

Bei den Regelungen der Dauerhafte Entfristung des § 35 Abs. 3 GemO, der Möglichkeit der Zuschaltung von Anzuhörenden mittels Ton- und Bildübertragung (§ 35a Abs. 1 GemO), der Änderung bei der Beteiligung von Jugendlichen zur Soll-Vorschrift (§ 16 c GemO) sowie des Antragsrechts zur Jugendvertretung (§ 56 b GemO) handelt es sich um Änderungen, welche bereits kraft Gesetzes gelten und somit anzuwenden sind.

 

Die Durchführung von Hybridsitzungen nach § 35 a GemO bedarf einer Regelung in der Geschäftsordnung.

 

Aus dem Landesgesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Rheinland-Pfalz (E-Government-Gesetz Rheinland-Pfalz - EGovGRP) vom 15.10.2020 besteht zudem die Möglichkeit einer ausschließlich elektronischen Veröffentlichung (§ 14 EGoV-GRP) in verschiedenen Fällen. Dies Bedarf der Regelungsfestlegung in der Hauptsatzung.

 

Wir empfehlen, das Thema in den Gremien erst nach der Kommunalwahl 2024 mit den neuen Räten zu erörtern und ggfls. im Rahmen der Neufassung der Geschäftsordnung bzw. der Hauptsatzung mit aufzunehmen, wenn dies gewünscht wird.

 

Zu Thema „Hybridsitzungen“ beauftragt der Stadtrat Gerolstein die IT der Verwaltung mit einer Prüfung der technischen Voraussetzungen und das Sitzungsmanagement mit der Entwurfsanfertigung der Änderung der Geschäftsordnung.